In einer alten Hütte in der Nähe des Waldes lebte ein Schuster. Schon sein ganzes Leben lang träumte er davon, die schönsten Schuhe im ganzen Königreich zu machen. Geschichten zu Folge sollte tief im Wald besonders edles Leder versteckt liegen, aber so oft man sich schon auf die Suche gemacht hatte, hatte man es nicht finden können. Nur der Schuster in seiner alten Hütte hatte sich noch nie auf die Suche nach dem Leder gemacht. Er hatte genug Arbeit, all die Stiefel von den Bauern aus dem Dorf zu reparieren und seine Ziege über die Felder spazieren zu führen, denn wie auch der Schuster war sie ein wenig ängstlich. Einfach in den Wald zu gehen und Leder zu suchen schien dem Schuster zu gefährlich.
Eines Nachts hatte der Schuster aber einen Traum. In seinem Traum wanderte er zwischen alten und hohen Bäumen umher und fürchtete sich nicht ein bisschen. Er merkte, dass der Wald ihm vertraute und er sich in ihm sicher fühlen konnte. Tatsächlich hatte der Schuster in all den Jahren, die er in seiner alten Hütte neben dem Wald wohnte, keiner einzigen Pflanze und keinem Baum auch nur ein Blatt gekrümmt. Außer dem, was er und seine Ziege zum Überleben brauchten, nahm er der Natur nichts weg. Im Traum des Schusters schien die Sonne durch die Blätter und wärmte ihn angenehm. Als er am nächsten Morgen erwachte ging er aus dem Haus zu seiner Ziege und sagte zu ihr:
„Heute Nacht hatte ich einen wunderschönen Traum. Ich denke, ich werde in den Wald gehen.“
Die Ziege schaute den Schuster aus großen, blauen Augen an und als wollte sie sagen: „Geh ruhig, ich passe hier auf alles auf“, legte sie sich vor die Tür der Hütte.
Fröhlich und ganz ohne Angst wanderte der Schuster in den Wald. Wie in seinem Traum schien die Sonne warm durch die Blätter und der Schuster fühlte sich wohl. Zwischen den Bäumen sah er Rehe, Füchse, Wildschweine und viele andere Tiere, die auch keine Angst vor dem Schuster hatten. Der Schuster fühlte sich so wohl auf seinem Weg durch den Wald, dass er gar nicht merkte, wie die Stunden vergingen. Eigentlich hätte es schon dunkel werden müssen, aber die Sonne schien immer weiter.
„Vielleicht fühlt sie sich hier im Wald genau so wohl, wie ich“, dachte der Schuster und wanderte weiter, ohne müde zu werden.
Als er wohl schon über einen Tag lang so gelaufen war, kam der Schuster an einen See. Hellblaues, ruhiges Wasser glitzerte in der Sonne. In der Mitte des Sees konnte der Schuster eine kleine Insel sehen, auf der das grünste Gras wuchs. Obwohl er nicht schwimmen konnte, ging der Schuster ins Wasser, denn er wollte unbedingt auf die Insel kommen. Nach ein paar Schritten ging ihm das Wasser bis zum Hals, dann ging der Schuster unter. Da legten sich Hände um seine Arme und zogen ihn zurück an Land. Als der Schuster sich umsah bemerkte er, dass er auf der Insel in der Mitte des Sees lag. Er war allein. Wer ihn gerettet hatte, konnte der Schuster nicht sagen.
Er ging ein paar Schritte durch das saftige, tiefgrüne Gras. Es fühlte sich angenehm und weich unter seinen Füßen an. Erst jetzt bemerkte der Schuster, wie lange er gewandert war und wurde sehr müde. Er legte sich direkt ins Gras und es war noch bequemer als sein Bett in der alten Hütte, die sehr weit entfernt war. Der Schuster schlief direkt ein und hatte noch einen Traum.
In seinem Traum wanderte der Schuster an einer großen Weide entlang, auf der die schönsten Kühe standen, die er je gesehen hatte. Ihr Fell glänzte wie Seide und den ganzen Tag lang konnten sie das selbe saftige Gras fressen, in dem er selbst gerade schlief.
„Lieber Schuster, du nimmst von der Natur nichts, was du nicht unbedingt brauchst“, hörter er auf einmal eine Stimme in seinem Ohr. „Zum Dank möchten wir dir von uns aus etwas schenken.“
Als der Schuster aus seinem Traum erwachte, lag er in seinem eigenen Bett in der Hütte, die gerade noch so weit entfernt gewesen war. Er stand auf und blickte auf seinen Arbeitstisch. Dort lag ein großes Stück von dem schönsten Leder, das er je gesehen hatte. Still bedankte er sich für das Geschenk und machte sich sofort an die Arbeit. Zwei Tage und Nächte arbeitete der Schuster ohne Schlaf, bis er schließlich die schönsten Schuhe im ganzen Königreich geschaffen hatte.
Der Schuster, der nun gar keine Angst mehr hatte, machte sich mit seiner Ziege auf und zeigte die neuen Schuhe im ganzen Königreich herum. Wo sie auch hinkamen, staunten die Menschen voller Bewunderung.
Nur die Frage, woher der Schuster das gute Leder bekommen hatte, beantwortete er nie.