Frau Rosenrot und Herr Mohnrot

Irgendwo auf dem Land, zwischen zwei weiten Wäldern, getrennt von einem kleinen, freundlichen Bach, liegen zwei bunte Blumenwiesen.

Direkt am Wasser wächst auf einer Wiese Frau Rosenrot. Frau Rosenrot ist einer leuchtend blühende rote Rose, deren süßer Duft den aller anderen Rosen auf der Wiese überdeckt. Am liebsten schickt sie ihren Duft über den Fluss auf die andere Wiese, wo Herr Mohnrot steht. Herr Mohnrot ist ein prächtiger Klatschmohn, der sich am liebsten im sanften Wind wiegt, der hin und wieder über die Wiesen streicht.

Frau Rosenrot und Herr Mohnrot mögen sich sehr, obwohl sie den Fluss zwischen sich nicht überqueren können. Wenn eine kleine Honigbiene bei Frau Rosenrot landet und Pollen sammelt, schickt sie die Biene mit einer lieben Nachricht über den Fluss zu Herrn Mohnrot. Dann landet die Biene auf seinen roten Blütenblättern und summt zum Beispiel:

„Lieber Herr Mohnrot, es ist schön zu sehen, wie die Sonne auf deine Blätter scheint.“

Oder:

„Guten Morgen Herr Mohnrot, ich hoffe, die Vögel singen auf deiner Wiesen heute ganz besonders schön.“

Dann freut sich Herr Mohnrot und schüttelt seine Blätter vor Freude so stark, dass er Frau Rosenrot von der anderen Flussseite kichern hören kann.

Einmal, als ein besonders starker Wind weht, lässt Herr Mohnrot eines seiner hellroten Blätter fallen. Der Luftzug greift es sich und wirbelt es in hohem Bogen über den Fluss. Frau Rosenrot beobachtet voller Freude, wie der Wind das Blatt von Herrn Mohnrot genau in ihre Richtung weht.

Fast fällt das Mohnblatt auf den Boden, aber mit einer letzten Anstrengung hebt der Wind das Blatt noch einmal an und es landet direkt auf der Blüte von Frau Rosenrot. Endlich weiß sie auch, wie Herr Mohnrot duftet! Der schwache Duft der Mohnblume schafft es sonst nie über den Fluss, im Gegensatz zu ihrem kraftvollen Rosenduft. Aber dieses kleine Mohnblatt, dass es bis zu ihr geschafft hat, duftet ganz wunderbar.

Am nächsten Morgen landet wieder eine liebe Honigbiene bei Frau Rosenrot.

„Guten Morgen Frau Rosenrot“, sagt die kleine Biene, „dürfte ich ein bisschen von deinem Nektar trinken?“

„Natürlich darfst du, liebe Biene, heute habe ich ganz vortreffliche Laune“, antwortet Frau Rosenrot fröhlich.

„Das ist aber schön zu hören“, sagt die Biene und taucht ihren ganzen Kopf in den Nektar. Als sie wieder auftaucht fragt sie: „Was hat dir denn diese gute Laune verschafft?“

„Gestern hat der Wind ein Blatt von Herrn Mohnrot bis zu mir getragen und endlich weiß ich, wie er duftet“, freut sich Frau Rosenrot, „es ist fast, als könnte ich mich endlich richtig mit ihm unterhalten. Schon ewig stehen wir auf unseren Wiesen und sehen einander über den Fluss.“

„Das ist so traurig“, sagt die Biene und setzt sich auf Frau Rosenrots Blätter, „soll ich Herrn Mohnrot eine Nachricht überbringen, wenn ich zur anderen Wiese fliege?“

Frau Rosenrot überlegt kurz.

„Nein“, sagt sie dann, „aber bring ihm doch ein paar Pollen von mir mit, dann ist es, als könnten wir beisammen sein.“

„Das mache ich gerne“, summt die Biene und schon ist sie abgehoben und flattert hinüber zu Herrn Mohnrot.

Irgendwo auf dem Land, zwischen zwei weiten Wäldern, getrennt von einem kleinen, freundlichen Bach, liegen zwei bunte Blumenwiesen. Auf den Wiesen wachsen Frau Rosenrot und Herr Mohnrot, zwei Pflanzen die sich sehr gern haben, aber für immer vom Wasser getrennt sind und die es trotzdem an jedem Tag schaffen, sich gegenseitig eine Freude zu machen.