Nachts sind im Wald fast genau so viele Tiere unterwegs. Waschbären bringen ihre Schätze in Sicherheit. Fledermäuse flattern um die Bäume. Wölfe heulen auf Lichtungen den Mond an. Aber die Tiere, die im nächtlichen Wald alles im Blick behalten, sind die Eulen. Große Eulen, die reglos und ruhig auf ihren Ästen sitzen und jede kleine Bewegung bemerken. Mit ihren großen Flügeln gleiten sie fast geräuschlos durch die Luft und alle Tiere respektieren sie.
Aber die Eule Huhu schläft nachts immer. Huhu mag die Nacht nicht, es ist irgendwie gruselig, wenn die Sonne verschwindet und die Farben blass werden. Außerdem sind nachts alle Geräusche beängstigend. Huhu ist die einzige Eule, die tagsüber im Wald unterwegs sind. Die anderen Eulen finden Huhu merkwürdig, aber Huhu findet sie ja auch merkwürdig, weil sie die Nacht so lieben, also ist sie ihnen nicht böse.
Huhu hat auch im Tagwald genug Freunde. Sie hat nämlich eine Bande gegründet. Huhu ist nicht das einzige Tier, dass sich nicht so verhält, wie andere es von ihr erwarten. In Huhus Bande sind nur solche Tiere, weil die sonst am einsamsten sind.
Zum Beispiel ist Rudi der Frosch in Huhus Bande. Rudi hüpft nicht gerne, wie die anderen Frösche, weil er das Gefühl nicht mag, wenn er den Boden nicht mehr berührt. Also watschelt er mit großen Schritten überall hin. Alle Frösche lachen über Rudi, wenn sie an ihm vorbeihüpfen, aber wenn Huhu kräftig mit den Flügeln schlägt und der Wind die Frösche wegpustet, lachen sie nicht mehr.
Dann ist da Dariah die Ente, die nicht schwimmen will, weil sie es nicht mag, wenn sie nicht sehen kann, was unter ihr im Wasser passiert. Alle Enten sagen, wenn man nicht schwimmt, dann ist man keine richtige Ente. Wenn die Enten besonders gemein zu Dariah sind, dann schwimmt Rudi unauffällig an sie heran und zwickt ihnen in die Füße. Dann flattern die Enten alle erschrocken auf und Dariah fühlt sich besser.
Wenn Huhu, Rudi und Dariah im Wald unterwegs sind, dann sitzt Rudi meistens auf Dariahs Rücken und sie trägt ihn herum, weil der watschelnde Frosch nicht besonders schnell ist. Das stört aber keins der Tiere. Sie sind froh, dass sie sich haben und machen die ganze Zeit Witze, auch wenn sie schief angeschaut werden.
„Die sind alle nur neidisch, dass ich so tolle Freundinnen habe“, sagt Rudi immer und Huhu und Dariah freuen sich.
Eines Tages sitzen Huhu, Rudi und Dariah auf einer Lichtung und reden über ihre Lieblingsblumen, als sie Stimmen hören, die immer lauter werden.
„Du kannst dich nicht immer drücken“, sagt eine tiefe Stimme.
„Aber ich will nicht“, sagt eine Höhere.
„Das kann doch nicht dein, das liegt in unserer Natur“ sagt eine dritte Stimme.
„Ich mag es einfach nicht“, sagt wieder die höhere Stimme.
Rudi und Dariah schauen sich an.
„Das überprüfen wir“, sagt Huhu, die ein Tier in Not spürt. Die drei müssen nur ein paar Schritte in den Wald gehen, da haben sie die Stimmen schon gefunden. Vor einem Haufen Erde stehen zwei böse schauenden Maulwürfe um einen dritten herum, der ängstlich hin und her schaut.
„Was ist denn hier los?“ fragt Dariah laut.
Die Maulwürfe schauen auf.
„Der nutzlose Cem hier hilft nicht beim Tunnel buddeln“, sagt einer der bösen Maulwürfe.
„Ich hasse Erde“, verteidigt Cem sich, „sie riecht komisch und fühlt sich blöd an. Ich will nicht untr der Erde sein.“
„Hört euch an, was er für einen Unsinn redet“, sagt der dritte Maulwurf. „Ein Maulwurf, der nicht unter der Erde lebt, das kann sich niemand vorstellen.“
„Ich schon“, sagt Rudi.
„Ja, ich auch“, sagt Huhu.
Alle drei Maulwürfe schauen ungläubig.
„Aber..“, setzt der größere der bösen Maulwürfe an, aber Dariah baut sich schon vor ihm auf und plustert ihre Federn auf.
„Ich denke, ihr solltet euch benehmen und Cem in Ruhe lassen“, sagt sie und schaut auf die Maulwürfe herab.
„Schon gut, schon gut“, sagen die. „Macht mit dem nutzlosesten Maulwurf der Welt was ihr wollt.“
Damit buddeln sich die bösen Maulwürfe in Windeseile in die Erde und sind verschwunden. Nur Cem bleibt staunend zurück.
„Sowas hat noch nie jemand für mich gemacht“, sagt er.
„Keine Ursache“, sagt Dariah, „wir Außenseiter passen aufeinander auf.
„Das sind Rudi und Dariah, ich bin Huhu“, stellt Huhu die Gruppe vor. „Wir sind alle genau so wie du, aber wir halten zusammen.“
„Ja und wir haben immer viel Spaß“, sagt Rudi. „Du solltest bei unserer Bande mitmachen.“
„Ich? In eurer Bande?“, fragt Cem. „So als wären wir Freunde?“
„Nicht nur als wären wir Freunde, dann sind wir ganz echte Freunde. Man darf nämlich mit jedem befreundet sein und nicht nur mit den Tieren, die genau so sind wie man selbst. Vor allem nicht, wenn die gemein zu einem sind“, sagt Dariah.
„Dann bin ich sehr gerne in eurer Bande“, sagt Cem. „Ich weiß sogar schon, was ich meinen neuen Freunden als erstes zeige!“
Alle sind gespannt. Cem führt die Bande durch ein paar dichte Dornenhecken, die aussehen, als gäbe es gar kein Durchkommen. Aber Cem findet wie von Zauberhand immer einen Weg. Als sich die Hecken endlich lichten, machen Huhu, Rudi und Dariah große Augen. Vor ihnen liegt ein kristallklarer See, in den ein kleiner Wasserfall fließt.
„Ich wusste nicht, dass es hier so einen See gibt“, sagt Rudi, denn eigentlich kennen Frösche jeden See.
„Wie hast du den gefunden?“, fragt Dariah.
„Ich habe mich oft versteckt, wenn ich Tunnel graben sollte“, sagt Cem, „irgendwann bin ich durch Zufall hier herausgekommen, wo mich niemand finden würde. Ich habe hier noch nie ein anderes Tier getroffen.“
„Dann wird das unser neues Hauptquartier“, freut sich Huhu, „hier kann uns niemand finden.“
Den Rest des Tages verbringt die Bande der Außenseiter damit, so viele leckere Früchte und Nüsse wie möglich durch den geheimen Heckenweg zum See zu bringen. Dann machen sich die vier einen entspannten Abend, spielen im See und spritzen sich mit Wasser nass. Als es dunkel wird, kuscheln sich Huhu, Rudi, Dariah und Cem am Ufer zusammen, damit niemand in der Nacht alleine sein muss.