„Füchse und Hasen! Tauben und Hühner! Igel und Schlangen! Alle Tiere von fern und nah, kommt und staunt!
Er hat die Gänse auf der Reise in den Süden unterhalten und die hungrigsten Wölfe zum Lachen gebracht!
Er kennt weder Feind noch Fucht, ein Verzagen und keine Trauer, aber er kennt die spannendsten Geschichten und die lustigsten Witze!
Katzen und Hunde! Rehe und Waschbären! Schildkröten und Mücken! Alle Tiere von fern und nah, kommt und staunt!
Sein Ruf eilt ihm voraus, mit Sicherheit wisst ihr alle schon längst von wem ich rede! In wenigen Minuten ist es soweit! Der Auftritt des großen, des grandiosen, des einzigartigen: Sebastian! Die Gaukelmaus!“
Die Tiere des Waldes, die sich um kleinen, aber umso lauter rufenden Raben versammelt haben, schauen sich verstohlen und verwirrt an.
„Entschuldigen Sie Herr Rabe, aber wir kennen keinen Seb-“, setzt ein kleines Wiesel an, wird aber sofort vom Raben unterbrochen:
„SELBSTVERSTÄNDLICH weiß auch jede noch so kleine Schnecke von den wundersamen Kunststücken und der unvergleichlichen Anmut von Sebastian der Gauklermaus! Applaus, ihr Tiere, Applaus!“
Immer noch wissen die Tiere, die dem Raben nun dabei zuschauen, wie er mit seinen Flügeln eine kleine Fläche auf dem Waldboden als Bühne sauberfegt, nicht, wer Sebastian die Gauklermaus sein soll. Aber die Versprechungen des Rabens haben sie doch alle neugierig gemacht, also bleiben sie gespannt stehen und einige fangen tatsächlich an zu applaudieren!
Der Rabe hat sich einen bunten Hut aufgesetzt und trommelt nun mit den Flügeln einen wilden Rhythus auf einem hohlen Baumstamm neben der Bühne. Solche Töne haben die Tiere im Wald noch nie gehört! Und auf einmal, als wäre er schon die ganze Zeit mitten unter den Tieren gewesen, springt eine Maus mit hellblondem Fell aus der Menge, schlägt einen Salto und landet kerzengerade auf der improvisierten Bühne. Die Waldtiere kommen kaum aus dem Staunen heraus, da fängt die Maus auch schon an, mit zielgenauen Bewegungen zu dem wilden Trommelspiel des Rabens zu tanzen. Immer und immer schneller treten die kleinen Füße auf den Boden, nur um sofort wieder abzuspringen. Der kleine Mäusekörper wirbelt und springt und schwingt die Arme und die Vögel und Hasen und Igel im Publikum schauen wie gebannt dabei zu.
Schließlich, nach ein paar Minuten oder auch ein paar Stunden, verstummt das Getrommel und auch Sebastian die Gaukelmaus hält in seiner Bewegung inne, um sich zu verbeugen.
Nun ist der Applaus gar nicht mehr zögerlich! Alle Tiere, die dem Tanz zugeschaut haben, brechen in lauten Jubel aus. Und es sind nicht gerade wenige Tiere. Die Musik des Raben hat auch noch die letzte Spinne in der Nähe aus ihrem Netz gelockt und alle wollen sehen, was auf der Bühne passiert.
„Herzlich willkommen zu Sebastians großer Unterhaltungsschow“, sagt die Maus und verbeugt sich noch einmal. „Wir haben alles, was euer Herz begehrt! Tanz, Theater, Witze und Geschichten! Setzt euch und ihr werdet die kommenden Stunden niemals vergessen!“
Sofort gehorchen alle Tiere und setzen sich brav auf den Boden. Da kommt auf einmal ein Drache auf die Bühne geflogen und greift Sebastian die Gaukelmaus an! Die Waldtiere schreien auf, aber erkennen im nächsten Moment, dass es nur der Rabe ist, der sich verkleidet hat. Mit einem feuerroten Gewand und kräftigen Flügelschlägen fliegt er um Sebastian herum. Wenn man nicht ganz genau hinschaut, hat man den Raben schon wieder vergessen und sieht nur den Drachen.
Gespannt und mit weit aufgerissenen Augen verfolgen die Tiere, wie Sebastian von einer kleinen Gaukelmaus zu einem heldenhaften Ritter wird. Ein nutzloser Ast wird in seiner Hand zu einem mächtigen Schwert, das er gegen den Drachen schwingt. Als wäre Zauberei im Spiel, sieht das Publikum Funken und Flammen, wo keine sein können und hören Gebrüll, das aus keinem Mund kommen kann. Der Drache und der Ritter kämpfen erbittert. Bald sieht es aus, als habe der Drache den Ritter in die Enge getrieben, dann wieder wendet sich das Blatt und bald schon trifft der Mäuseritter den entscheidenden Schlag, der den Drachen zu Boden wirft. Die zuschauenden Tiere springen jubelnd auf, als habe der Ritter sie von einer schrecklichen Plage befreit. Doch auf der Bühne sehen längst wieder nur der Rabe und Sebastian die Gaukelmaus. Erneut verbeugen sich beide unter tosendem Applaus.
Sebastian und der Rabe unterhalten die Tiere des Waldes ohne müde zu werden, bis der Abend anbricht. Die Gaukelmaus erzählt die lustigsten Witze, die je im Wald erzählt wurden und die Tiere kugeln sich auf dem Boden vor lachen. Nicht wenige bekommen Bauchweh, so sehr lachen sie. Es ist, als könne Sebastian in ihre Herzen sehen und mit seinen Witzen auf das abzielen, was die Tiere am meisten beschäftigt.
„Noch ein Witz!“, rufen die Tiere im Publikum laut, immer wenn Sebastian die Show gerade beenden möchte.
„Nun gut, noch ein letzter Witz“, sagt Sebastian immer und dann erzählt er zum Beispiel einen Witz über die Menschen aus dem Dorf oder den starken Regen der letzten Wochen oder über Pastinaken, die niemand mag.
„Noch ein Witz!“, rufen die Tiere abermals und wieder und wieder erbarmt Sebastian sich, bis es dunkel wird.
Dann sagt er: „Das war wirklich der letzte Witz, lasst uns lieber am Feuer beisammen sitzen.“
Und siehe da, der Rabe hat bereits ein gemütliches Lagerfeuer entzündet. Alle Tiere, die Sebastian zugesehen haben, bringen ihr bestes Essen zum Feuer und der Gaukelhase und sein Gehilfe essen wie die Könige. Dann erzählt Sebastian im Schein der Flammen von seinen Reisen mit den Wildgänsen und seinen Zusammentreffen mit den Wölfen und auch davon, wie er einmal einen Menschen dazu überreden konnte, ihm ein ganzes Brot zu schenken. Während die Maus redet, scheint das Feuer seinen Worten zu folgen und die Flammen bilden die tollsten Figuren und in den Schatten an den Bäumen werden Sebastians Geschichten lebendig. Stundenlang erzählt die Maus, ohne müde zu werden, bis schließlich auch das letzte Waldtier müde wird und am Feuer einschläft.
Als die Tiere am nächsten Morgen erwachen, sind Sebastian und der Rabe verschwunden. Lediglich die Asche und die freigefegte Bühne beweisen, dass sie jemals da waren. Tagelang sprechen alle Tiere im Wald von nichts anderem als Sebastian der Gauklermaus. Jeder, der zu Besuch oder auf der Durchreise vorbeikommt, muss sich die Nacherzählung von Sebastians gesamtem Auftritt anhören.
Irgendwann, so hoffen alle Tiere, wird Sebastian die Gauklermaus zurückkommen und sich wieder selbst übertreffen.